Donnerstag, 6. Februar 2014

Vater werden ist nicht schwer




Meine Tochter war eine Frühgeburt. Sie erblickte nämlich schon kurz nach Mitternacht das Licht der Welt, das heißt, gar so viel wird sie weder vom Licht noch von der Welt erblickt haben, ihre Augen waren fest geschlossen. Ja, beinahe hätte ich es vergessen, die Tochter war ein Mädchen. Ob das in einem ursächlichen Zusammenhang zu ihrem beängstigenden Geschrei stand, vermag ich nicht zu sagen, machte mir aber dennoch große Sorgen.  Was mochte ihr fehlen? Was wollte sie uns mitteilen? Uns, das waren die Hebamme und der Hebammer, der ärztliche Geburtshelfer also - und ich. Meine Frau war auch anwesend, hielt sich aber in ihrer Anteilnahme vornehm zurück. Ich glaube, sie war zu beschäftigt, denn sie reichte mir in regelmäßigen Abständen Beruhigungstropfen und wischte mir mit einem Tuch die Stirne trocken. Was mich betrifft, ich war die Gelassenheit in Person.
 
Bald schon deutete ich das fordernde Schreien des Kindes als Ausdruck eines unbezähmbaren Hungergefühls. Leicht verständlich, das Mädchen hatte ja schon lange nichts zu sich genommen, wenigstens nicht oral. Also versuchte ich, das Kind zu stillen. Das energische Eingreifen der Hebamme und die seltsamen Blicke des Arztes machten aber meine Versuche in verantwortlicher Vaterschaft umgehend zunichte. So schrie mein Töchterchen weiter und ich beschloss, meine Taktik zu ändern und das Baby auf andere Weise abzulenken. Ich schnitt Gesichter. Und welche. Es verstand aber den Witz nicht, obwohl ich ihn optimal auf die Pointe gebracht hatte. Humorlos war das Kind also auch.

Plötzlich – kein Laut mehr, nur ruhiges Atmen. War es etwa eingeschlafen? Nach zehn Minuten Aktivität? Zumindest zweifelte ich jetzt nicht mehr an meiner Vaterschaft. Außerdem sah sie meinem Urgroßvater in seinen Neunzigern in frappierender Weise ähnlich. Das beruhigte mich wieder so weit, dass ich mir über die Zukunft der Tochter Gedanken machen konnte. Sie musste unbedingt studieren, ihre Stärken und Präferenzen ließen sich aber noch nicht so ganz deutlich erkennen. Leise sagte ich ihr darauf wichtige Merksprüche vor, immer und immer wieder: „Beim Ablativ stehn ab, ex, de, auch cum und sine, pro und prae“ sowie „Der Koloss von Rhodos ist die Statue des Sonnengottes Helios“. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, auch dann nicht, wenn Hans ein Mädchen - also eine Johanna - ist.
 
Da erst bemerkte ich, dass mir das Schuhband gerissen war. Peinlich. Aber, wer suchet, der findet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht gewusst, dass Nabelschnüre so reißfest sind. Was mich etwas störte, war, dass mich der Arzt nicht mehr aus den Augen ließ. Argwöhnisch wie ein scheues Tier beobachtete er mich. Hin und wieder griff seine Hand zum Hörer, zuckte aber jedes Mal zurück, wenn ich den Doktor freundlich anlächelte. Mein Lächeln schien ihm zusätzliches Kopfzerbrechen zu bereiten.

Wer keine Nerven hat, einer Geburt mit Gelassenheit beizuwohnen, sollte nicht Arzt werden, wenigstens keiner, der im Kreißsaal zu tun hat. Urplötzlich stand meine Frau von ihrer bequemen Liege mit den modernen Haltegriffen und der praktischen Beinstütze auf und begann zu packen. Ein Täschchen für mich. Schließlich sollte ich nicht ohne Zahnbürste und etwas Lesestoff in die Nervenklinik eingeliefert werden.

3 Kommentare:

  1. Ingo, könntest Du die Schriftfarbe nach "weiß" umflitschen? Der Text ist so nur schwer zu entziffern. Vor allem für so blinde Maulwürfe wie mich. ;-))) Danke!

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  2. Na, wenigstens kam bei Dir die Polizei nicht. Bei mir fühlte sich der Arzt bedroht (Weichei!!!). Dabei hatte er angefangen, sich dem Unterleib meiner geliebten Frau, und damit dem (Noch-)Aufenthaltsort unseres Kindes, mit irgendwelchen gefährlichen Werkzeugen zu nähern. Klar, dass ich ihm für den Fall der Fälle die Exekution in Form eines langsamen, schmerzhaften und grauenvollen Todes androhte. Und als meine Frau dann anfing wie wild zu schreien, zog ich eben meine Waffen hervor. Gut, nach einer Woche kam ich unter Auflagen frei, durfte das Krankenhaus allerdings nie wieder betreten. Ingo, ich glaube, wir sind irgendwie "seelenverwandt". ;-))))

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