Der Deutschkurs im
Asylantenheim – ja, ich weiß, diese Bezeichnung wird als politisch nicht
korrekt empfunden, es müsste Asylwerberheim heißen – ich bleibe dennoch beim
kürzeren Asylantenheim – stellt eine Herausforderung der besonderen Art dar und
ist – man kann es nicht kürzer ausdrücken – lustig. Das mag jetzt irgendwie arg
einfach, simplifizierend klingen, aber der Kurs ist lustig, im Sinne von froh,
fröhlich, witzig, unterhaltsam, lustig eben. Dass der Unterricht auch Kennenlernen
von und Begegnung mit lernwilligen, fröhlichen Menschen bringt, wäre in einer
eigenen Geschichte zu behandeln, die Erwähnung darf hier aber nicht fehlen. Ja,
ich neige zur Ansicht, dass der Kurs mir mehr als den „Schülern“ bringt oder
gebracht hat, weil ich aus gesundheitlichen Gründen zur Zeit nicht in dieser
Hinsicht pädagogisch tätig bin. Bleiben wir aber dennoch bei der Gegenwart.
Es könnte jetzt durchaus
der Fall sein, der irrigen Meinung anzuhängen, die Verursacher solch
angekündigter Heiterkeit wären ich und meine umwerfend zielführenden und
dennoch Fröhlichkeit erweckenden Methoden zur Vermittlung der deutschen
Sprache. Nein, weit daneben, die Kursteilnehmer – und vor allem deren Kinder –
sorgen für die ungewöhnlich aufgelockerte, heitere Atmosphäre während der
Kursstunden, die ganz allgemein gesehen und nicht zu eng genommen der
Vermittlung der deutschen Sprache in Wort und Schrift dienen. Einer Schrift,
die in vielen Fällen neu gelernt werden muss, da sich das Deutsche in
Kyrillisch oder Arabisch zwar nett präsentiert – aber zur allgemeinen
schriftlichen Kommunikation nur bedingt eignet.
Der Unterricht beginnt
damit, dass er erst einmal gar nicht beginnt. Außer dem Vortragenden ist
nämlich niemand im Kursraum anwesend. Wie auch? Der Kurs fängt – immer
gleichbleibend – um zehn Uhr an. Da schlafen die Schüler aber noch – auch immer
gleichbleibend. Wäre der Kurs um elf angesetzt, würden sie eben um elf noch
schlafen, aber das ist reine Theorie, voreingenommene Annahme, böswillige
Unterstellung, fast ein bisschen Überheblichkeit den Leuten gegenüber, da der
Kurs ja, wie gesagt, um zehn beginnt und eben nicht zu irgend einem anderen
Zeitpunkt. Bis zum tasächlichen Beginn
der Lehrveranstaltung stellt sich der Ablauf eher wenig lustig oder erbaulich
dar, man kann sogar mit Fug und Recht behaupten, dass meine Stimmung mit
grantig nur unzureichend - ja geradezu euphemistisch übertrieben - beschrieben
wäre. Ich verstehe zwar meine immer wieder aufflammende Ungeduld nicht, da sich
seit Jahren an der groben Auslegung des Beginns der Deutschlektion – also der
Tageszeitbeschreibung zehn Uhr - nichts geändert hat, noch nie ist jemand um die
genannte Zeit erschienen. Wie auch, die Ankündigung „Deutschkurs, 10 Uhr“ auf dem schwarzen Brett ist höchstens in fünf
Zentimeter hohen Lettern gehalten und das auch nur in den Sprachen Farsi,
Suaheli, Urdu, Arabisch, Kurdisch, Mongolisch, Georgisch und Armenisch.
Vielleicht war es mein Fehler, Chinesisch, Japanisch, und Rätoromanisch so
gröblich wegzulassen. Kein Wunder, wenn da niemand pünktlich ist.
Aber da, der erste
Lichtblick. Elena taucht auf, noch unfrisiert aber guter Dinge. Sie bittet
umgehend um ein Stück Kreide und zeichnet Männchen an die Tafel, wahrscheinlich
Abbilder der restlichen Kursteilnehmer, die da noch kommen sollen. Elena ist
drei.
Mama Hannah, die vornehme
Dame aus Darfur, kommt um zehn Uhr zehn, Bleistift und Heft in der Hand. Ab
jetzt geht es Schlag auf Schlag, sie trudeln ein, kichernd die Mädchen aus Nigeria
und dem Sudan, schwatzend die Frauen aus Somalia, ein Mongole mit weinendem
Kleinkind, zwei Tschetscheninnen mit insgesamt vier Kindern, eine Armenierin
mit einem Neugeborenen und dann noch die Männer, die in Deutsch – einer
leichten, spielerischen Abart dieser Sprache zwar – aufeinander einreden,
zwangsweise, weil sie aus den unterschiedlichsten Weltgegenden stammen. Das ist
ja das Gute an einem Haus für Asylanten, man braucht eine lingua franca – was
bietet sich da in Österreich mehr an als ein deutsches Idiom.
Sie fragen zweifelnd, was
daran so lustig sei? Nun, bis hierher haben Sie Recht. Es gibt noch nichts zu
lachen, noch überwiegt die leichte Ungeduld des Vortragenden, also meine. Aber
da wird auch schon die erste Saat zur Fröhlichkeit gelegt. Der Mongole sagt zum
Beispiel im Dialog zur Usbekin „Was bleiben dein Frau heute?“ und meint
natürlich den Mann und als Fragewort hätte er wohl „wo“ verwenden sollen. Nun
einmal ehrlich, ist das in einem Gespräch zwischen Mongolen und Usbeken
erheblich? Nein, nein und wieder nein! Doch reicht es allemal für ein aufflammendes
Gelächter, obwohl die meisten den Fragesatz vermutlich gar nicht in
grammatikalisch ähnlicher Nähe zustande gebracht hätten.
Dann geht’s los, ich
verwende ein persisches Wort - als Hilfe für die Afghanen -vollkommen falsch.
Es wird übersetzt und der Hörsaal, der in Wirklichkeit der Speisesaal ist,
erdröhnt in schadenfrohem Lachen, das infektiös sein muss, weil weder die
Sudanesen noch die Somalier das Wort in Farsi verstehen, oder vielleicht doch?
Das Kleinkind beginnt
erbärmlich zu schreien und muss zur Beruhigung gestillt werden, Elena fällt vom
Sessel und klein Jussuf braucht nasenscheinlich eine neue Windel. Ich liege auf
dem Boden, weil ich den Unterschied zwischen legen und liegen erkläre, ein
lärmendes Handy stört jetzt nur mehr unwesentlich. Blessing, die Friseurin aus
Nigeria, stimmt mit ihrer Freundin ein Lied an und setzt auch einige
Tanzschritte dazu. Das zwingt mich, die Wörter Tanz und tanzen einzuführen. Dazwischen
folgen zehn Minuten intensiven Lernens. Wir sprechen über die Übereinstimmung
von Adjektiv, Artikel und Substantiv in Fall und Zahl, wobei ich mich mit „eine
klein Hund“ durchaus zufrieden gebe, von der Formulierung „viele klein Hunde“
bin ich geradezu begeistert. Schließlich sind wir auf keiner Universität.
Dann wird einem Somalier
das Schreien der kleinen Georgierin zu viel, er schnappt sie und singt ihr eine
Weise, wahrscheinlich ein Wiegenlied aus dem Horn von Afrika vor. Das Mädchen
versteht offensichtlich Somali, denn es beruhigt sich. Ich krieche jetzt sehr
anschaulich durch die Tischreihen, weil mir das Wort „kriechen“ weder auf
Arabisch noch auf Urdu einfällt, „creep“ nicht verstanden wird, was bleibt also
über? Svetlana lernt Somali, weil sie sich mit Aische aus Mogadischu befreundet
hat. Jetzt bringt sie reizvolle Neuschöpfungen in ihr blutjunges Deutsch ein.
Eine Frau aus Kenia hat auch für mich etwas vorbereitet und ich kann nach drei
Versuchen den Satz „Tafadhali usafishe chumba kwanza“ fehlerfrei nachsprechen.
Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals anwenden kann, er bedeutet nämlich, „Bitte
reinigen Sie das Zimmer erst einmal“.
Shpresa kann beinahe
akzentfrei „ich verstehe nicht“ sagen und tut es oft auch ohne erkenntlichen
Anlass. Elena fällt das dritte Mal vom Stuhl. Mama Hannah bietet mir eine
Pistazie an. Der Genitiv ist den meisten vollkommen egal, so einigen wir uns
auf „das Haus von meinem Vater“. Warum auch nicht? Hin und wieder kommt mir „der Dativ ist dem
Genitiv sein Tod in den Sinn“, entscheide mich aber dann doch, diesen Satz
nicht ins Heft schreiben zu lassen. Sie können das Buch ja später einmal lesen.
Elena fällt schon wieder vom Stuhl und braucht ein neues Stück Kreide, da sie
das erste zerbröselt hat. Ich wische mir mit schmerzverzerrtem Gesicht eine imaginäre
Träne aus den Augen, weil ich den Begriff “traurig“ verdeutlichen will. Alle
lachen, ich weiß nicht warum, sie sollten ja den Begriff „traurig“
verinnerlichen. Dann schaue ich auf die Uhr, Zeit zur Wiederholung, nein, nein,
kein Drill, nur die für den Spracherwerb relevanten Dinge, alles andere kommt
ohnehin in der nächsten Einheit wieder zum Tragen.
Und jetzt sage noch einer,
das wäre alles nicht lustig. Ich muss hinzufügen, dass die Leute sehr wohl eine
ganze Menge lernen, nur etwas ungewöhnlich halt. Die Kursteilnehmer
verabschieden mich dann meist im Chor: Next Mittwoch, sehn Uhr, pingdlich.
Als Nachsatz möchte ich
anfügen: Wenig hat mich jemals so begeistert wie der Umgang mit den Menschen
aus den unterschiedlichsten Weltgegenden.