Dienstag, 16. Dezember 2014

Tarantella





Das Burgenland ist flach, sehr flach, das Burgenland liegt im Osten Österreichs und das Burgenland ist interessant.

Für mich besonders wegen der Fauna, die in diesem Bundesland eine gewisse Extravaganz aufweist, mit Arten, die sonst in östlichen Steppen oder im wärmeren Süden verbreitet sind. Zu nennen wären da einmal Smaragdeisechse und Gottesanbeterin, Hamster und Skolopender,  Hirschkäfer und ein Tier, das man sonst eher mit Taranto in Apulien verbindet. Ja, man darf verbinden, sehr eng sogar, es geht nämlich um die zu ekstatischen Tänzen anstachelnde Tarantel. Ja, die gibt es im Burgenland. Ein herrliches Tier, lebt in Erdlöchern, zeigt sich selten nur und kümmert sich vor allem nicht um die Burgenländer.

Ich mochte so sechszehn sein, da erkundete eine Gruppe junger Leute unter der Leitung von Dr. Eberhard Stüber – es muss im Juli 1960 gewesen sein - die Gestade des Neusiedler-Sees, dessen Vogelwelt und eben die oben angeführten Vertreter seltener Arten.
Taranteln leben in Erdlöchern. Wie wir sie aus diesen hervor lockten, verschweige ich verschämt, es könnte zarte Seelen beleidigen. Kurz und gut, ich konnte eine erwischen, sie in ein Schächtelchen schließen und mit nach Hause nehmen. Mit nach Hause meine ich nicht das Zeltlager in Neusiedl, sondern das Schulgebäude in Holzhausen. Bekümmert denke ich zurück, dass mir damals das Verbot der Verbringung dieser geschützten Tiere zwar bekannt, aber völlig gleichgültig war.
Die Tarantel übersiedelte also nach Holzhausen und wurde von mir in ihrem Terrarium bestens versorgt. Sie musste vorher bereits einen Tarantelmann getroffen haben, wie die Juniorzwerge auf ihrem Rücken bewiesen – und lebte einigermaßen glücklich und zufrieden, bis ich nach den Sommerferien wieder nach Salzburg ins Internat übersiedeln musste. Von da an lebte sie noch zufriedener. Sie wurde nämlich von meiner Mutter versorgt.
Nicht, dass Spinnen die erklärten Lieblinge meiner Mutter gewesen wären, aber als Tierfreundin fühlte sie sich moralisch verpflichtet, die Haugenossin mit allen essenziellen Nähr- und Zusatzstoffen zu versorgen. Diese fand sie in Schmetterlingen, denen sie mit einem Netzt nachstellen musste. Sie tat es nicht gern, liebte sie doch die bunten Flatterer mindestens ebenso, wie das die Spinne tat. Wenn nicht mehr. Ich nehme an, mit zwei Stunden Nahrungsbeschaffung pro Tag war meine Mutter wenigstens in dieser Hinsicht kaum belastet. Für die langen Wochen des Spätsommers und Frühherbstes gab es – und das ist durchaus auch positiv zu sehen – keinen Mangel an sinnvollem Zeitvertreib. Außer der Pflege ihres riesigen Gartens, der Kocherei, dem Waschen und Bügeln, dem Einkaufen und einigen Stunden Kochunterricht in der landwirtschaftlichen Fortbildung hatte meine Mutter ja kaum etwas zu tun.
Warum ich es wert finde, die Begebenheit überhaupt zu schildern? Nun, weil ich die Angelegenheit als gutes Beispiel sehe, wozu sich Mütter in einem Aufflammen irrationaler Mutterliebe aufraffen können. Ein Mirakel.
Was mit der Tarantel, nennen wir sie Elfriede Elisabeth, weiter geschah, wäre eine eigene, ebenfalls sehr sonderbare Geschichte.

1 Kommentar:

  1. Endlich wagt es mal jemand, die chronische Unterforderung der so genannten "Hausfrauen und Mütter" offen anzusprechen. Wieviele von ihnen sind still frustriert und enerviert, weil sie ganz einfach unausgelastet, unterfordert, gelangweilt sind. Da ist es Dir hoch anzurechnen, dass Du bereits im frühen Jugendalter bei Deiner Mutter etwas gegen diesen entwürdigenden Zustand unternommen hast. Chapeau!

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